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Text: Rainer Friedmann 'Kraftrad'
/ Bilder: Rainer Friedmann 'Kraftrad', Aprilia |
Die Bestzeit wird geladen |
Wo wollen wir denn heute fahren? Ok, Misano World
Circuit wäre doch mal was, da war ich eh noch nie. Auf welchen Fahrstiehl
hab ich denn Lust? Marco Melandri, Jordi Torres, Sylvain Guintoli oder doch
lieber mal Max Biaggi? Komm, ich will die Melandri-Podiumsrunden von 2014
fahren, muss doch meinen Kumpels mal zeigen wo der Hammer hängt. Also, Spiegel
abmontieren, Scheinwerfer abkleben, Smartphone connected, App starten und
Strecke wählen, aufsitzen, Motor starten, erster Gang rein und drei, zwei,
eins, GO! |
So ähnlich könnte die Geschichte in Zukunft beginnen, wenn man die Smartphonespielerei
an der neuen 2015er Aprilia RSV4 weiterdenkt. Die Handyverliebten Italiener
haben nämlich eine Steuerungsmöglichkeit per V4-MP Smartphone Connection
in ihr neues Supersportbike integriert, die es ermöglicht, alle Einstellungen,
Parameter und Zeiten per App zu verarbeiten. Doch leider, oder lieber Gott
sei Dank, sind wir nicht soweit und der Fahrer spielt noch immer eine entscheidende
Rolle und muss mit seiner Erfahrung die formschöne Race Aprilia vorantreiben.
Dazu aber später mehr. |
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Aprilia RSV4 RF und RR 2015 |

V4-MP Smartphone Connection - Infos ohne Ende |

Öhlins TTX-Federbein wird auf den Fahrer eingestellt |

Bosch Race-ABS gepaart mit Brembo Stoppern |
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Geschichte der RSV4 2009 brachten die Aprilia Ingenieure
rund um Luigi dall’Igna mit ihrem Superbike-Projekt RSV4 ein komplett
neu konzipiertes Superbike mit Abmessungen einer 600er auf den Markt, welches
befeuert durch ein sehr kompaktes 65 Grad V4-Triebwerk quasi vom Start weg
die Podiumsplätze in der SBK einnahm. Ein Jahr später war es nicht nur das
Podium, sondern die Fahrer- und Herstellermeisterschaft in der SBK – ein
Siegerbike war also geboren. Diese Erfolgsgeschichte übertrugen die Herren
aus Noale mit der 180 PS starken RSV4 Factory bzw. RSV4 R direkt auf die
Straßen. 4 WM-Titel bzw. 6 Jahre später, geht es nun darum der immer stärker
werdenden Konkurrenz das Podium nicht zu überlassen und so präsentiert Aprilia
die 21PS stärkere und in vielen Bereichen optimierte RSV4 RR sowie eine
mit edlem Öhlins Fahrwerk und geschmiedeten Felgen bestückte auf 500 Stück
limitierte RSV4 RF. |
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Technik der RSV4 201PS und 115Nm bei 13.000 bzw.
10.500 U/Min, knapp über 200Kg vollgetankt und Elektronik vom Feinsten ist
erst mal eine Ansage die uns Matteo Zonta aus dem Produkt Marketing bei
der Präsentation am Vorabend zur Testsession gab. Diese deutliche Steigerung
soll unter anderem durch eine neue Ausrichtung der Airbox – sie wird nun
frontal angeströmt wie im WM-Titel-Bike, der Reduzierung von Reibungen mit
Hilfe neuer Materialien, einer verbesserten Verbrennungseffizienz gepaart
mit höherer Verdichtung, einer konsequenten Gewichtsoptimierung aller Teile
– insbesondere der beweglichen im Zylinderkopf – und einer neu konzipierten
Abgasanlage mit Doppellambdasonde. Beim Fahrwerk und Chassis ging man auf
Details ein und verlängerte etwas die Schwinge, änderte die Lenkgeometrie
und zentrierte die Masse etwas tiefer. Um diese vor Kraft nur so strotzende
RSV4 schnell und sicher bewegen zu können, regelt die Aprilia Pervormance
Ride Control – kurz aPRC – entsprechende Helfer wie die in 8 Stufen während
der Fahrt einstellbar Traction Control (ATC), die 3 stufige Wheelie und
Launch Control (AWC und ALC), der Quick Shift (AQS) sowie das von Bosch
in der Version 9MP entwickelte 3 stufige Race-ABS. Neben dem Race-Modus,
stehen für den Straßenbetrieb weitere 2 Fahrmodis zur Verfügung. Optisch
wertet man mit LED-Blinker im Spiegel und einer neuen aggressiverer Scheinwerferfront
die RSV4 deutlich auf. |
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Ready to Race - Kann die Aprilia RSV4 RF 2015 ihre Konkurrentinnen wieder
in den Schatten stellen? |
....loading Trackdate – Turn One |
Nach so viel Theorie und Input, wird´s Zeit die eigenen Sensoren zu
kalibrieren und erste Runden mit der Aprilia RSV4 RF zu drehen. Das Bike
steht in der Standardkonfiguration bereit, Fahrwerk und elektronische Helferlein
befinden sich qausi im Auslieferungszustand. Als mein Mechaniker – jeder
von uns bekam ein Bike und einen Mechaniker zur Seite gestellt – mich zielstrebig
zur Nummer 13 laufen sah, rief er schnell einen weiteren Techniker, der
mit einem Fahrwerksgabelschlüssel bewaffnet, erst mal die Basis am Heck
deutlich nach oben drehte. Komisch – sehe ich so mopsig aus, dass ich das
nötig hätte? Grübel. |
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Tolle Felgen, schlankes Heck, formschönes Bike |

Trotz meiner 193cm, finde ich PLatz auf der RSV4 RF |

Zielsicher und mit jeder Menge Schräglagenfreiheit |
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Also, Platz nehmen, fühlt sich brutal hart und racermäßig an. Hebelei
nach meinen Bedürfnissen einstellen, Startknopf drücken, uuuhhh, sehr kerniger
Sound der nicht aufdringlich wirkt, ab geht’s auf die Strecke. Was sofort
auffiel, die Sitzgeometrie ist extrem sportlich, Fußrasten recht hoch und
weit hinten, Lenker eng und tief, Hinterteil hoch und insgesamt sehr frontlastig
– ein kompromissloses Racingbike in 600er Größe eben. |
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So ging es nun Runde um Runde erst einmal darum, die Strecke kennen
zu lernen. Kannte ich doch nur ein Youtube-Video der MotoGP vom Vorjahr.
Viel mehr war nicht zu finden, da man die Strecke 2007 drehte! Ja richtig,
früher ging es gegen den Urzeigersinn und nun mit selbigem. Also waren die
ersten Runden nicht wirklich aussagefähig, wobei schnell deutlich wurde,
dass bei harten rausbeschleunigen aus langsamen Ecken im 2.Gang die Front
sehr leicht und instabil wurde und am Ende der Speedpassagen beim harten
anbremsen das Heck zu schlingern begann. Aber wie gesagt, Standardeinstellung
und keinen Plan wo´s langgeht. |
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Trotzdem war das Verlangen die Rundenzeit zu erfahren groß, was mit
der V4-MP Smartphone App und den montierten iPhones ein Kinderspiel war.
Das Abrufen von Zeiten ist aber im Grunde nur ein Nebenprodukt der App.
Vielmehr erfasst sie alle Telemetriedaten von der Gasstellung über Schlupf,
Schräglage, G-Kräfte, abgerufene Leistung und vieles mehr. Aber nicht nur
aufzeichnen kann die App, sondern man kann sich zu jeder Rennstrecke – sind
vorauswählbar – auf einzelnen Streckensektionen die AWC (Aprilia Wheelie
Control) und ATC (Aprilia Traction Control) Werte einstellen – echt coole
Geschichte die einem ganz neue Möglichkeiten eröffnet, sein Bike einfach
und immer wieder abrufbar abzustimmen. |
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....loading Trackdate – Turn Two |
Im zweiten Turn ging es mir in erster Linie noch um die klassische mechanische
Optimierung. So wurde mein Heck eine Umdrehung „abgelassen“ und vorne die
Vorspannung 2 Umdrehungen erhöht sowie die Druckstufe zugedreht. Und siehe
da, die Front wurde ruhiger und das Heck berechenbarer. So langsam fand
ich auch meine Bremspunkte und konnte auf den langen Gerade auch mal ein
Auge auf´s Smartphone werfen, welches einem eindrucksvoll mit grau, grün
oder rot hinterlegtem Display in Realtime anzeigt, ob man sich auf einer
schnellen Runde befindet oder nicht. Das Ganze geschieht mit Hilfe des Smartphone
GPS in Kombination mit einem GPS-Modul im Bike – somit extrem präzise. Ist
natürlich schon ein Ansporn, wenn man laufend erkennt, dass der Bremspunkt
wohl zu früh war und man nicht mehr auf seiner persönlich schnellsten Runde
sich befindet oder das man durch einen etwas späteren Bremspunkt gepaart
mit frühzeitigem beherztem Vortrieb anlegen wieder in den Bestzeitbereich
kommt. |
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Nach jedem Turn wurde die RSV4 bestens versorgt |

Das sehr Kompakte und 201PS starke V4 Triebwerk |

Der perfekte Reifen für die RSV4 - Pirelli Supercorsa SP |
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Zurück in der Box, kamen gleich 3 Mechaniker und Techniker auf mich
zu und fragten nach dem Fahrwerksbefinden. Kam mir vor wie in der MotoGP,
wenn man anhand des Streckenplans das Fahrverhalten durchspricht und entsprechend
Maßnahmen ergreift. Aber so war es, denn anhand meiner Beschreibungen, wurde
die Druckstufe vorne leicht geöffnet die Gabel bis zum Anschlag oben durchgesteckt
und noch 0,1 Bar Druck hinten abgelassen. Erstaunlich, wie kleinste Anpassungen
sofort ihre Wirkung zeigen. |
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Apropo Hinten. Entweder lag es am nagelneuen und extrem rauen Belag
in Misano oder am brutalen Anzug raus aus langsamen Ecken? Der Pirelli Supercorsa
SP sah Rechts auf jeden Fall nicht wirklich mehr gut aus. Der musste runter! |
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....loading Trackdate – Turn Three |
Die Strecke saß, das Fahrwerk passte nun sehr gut und jede Runde war
gefühlt die schnellste. Jetzt nur noch im hinteren Teil, wo man mit Vollgas
zweimal rechts und in die dritte rechts reinbremsten musste, das Gas stehen
lassen! Hier zögerte ich noch leicht und lies sicher ne gute Sekunden auf
der Straße liegen! |
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Bosch Race-ABS - Hart und auf dem Punkt genau |
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Hier war jedoch schön zu spüren, wie die Motorbremse arbeitete. Diese
regelt nämlich in Abhängigkeit des gewählten Gangs und der anliegenden Drehzahl
das Bremsmoment. Besonders war der Unterschied am Ende einer schnellen Passage
zu spüren, als man beim anbremsen in Schräglage und gut 10.000 U/Min einen
Gang runter schalten musste. Das Bremsmoment war nur sehr leicht zu spüren,
was mir ein absolut ruhiges und stabiles Gefühl gab. Bewegte man sich unter
6.000 U/Min, so war das Bremsmoment deutlich größer. |
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....loading Trackdate – Turn Four |
Nun war das “Active Electronic Setup” an der Reihe. Hier gibt es die
Möglichkeit, dass die Elektronik Runde um Runde sektionsgenau lernt und
die Wert der Traktionscontrolle und Wheelycontrolle bis hin zur Perfektion
einstellt. |
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Das nächste Eck schon im Visier |
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Es war absolut faszinierend, wie man so immer besser mit dem Bike zurechtkam,
sich voll aufs fahren konzentrieren konnte und die Elektronik einen im Hintergrund
unterstützte. Da meine Rundenzeiten deutlich flotter wurden, konnte auch
das neu programmierte Race-ABS von Bosch gepaart mit den Brembo-Stoppern
zeigen was in ihm steckt. Schon beeindruckend, wie gut zum Beispiel 150
Km/h Turn um Turn auf kürzester Strecke vernichtet werden und dem Fahrer
das Gefühlt gibt, seine Augäpfel würden gleich ans Visier drücken. Kein
wandernder Bremspunkt oder schlechte Dosierbarkeit, man hat jederzeit ein
klasse Feedback über die zwei Finger an der Bremse. Top! |
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Aber zurück zum Thema „auf´s Fahren konzentrieren“. Eine Ablenkung gab
es doch, die bei soviel Technik und Elektronik nicht mehr Zeitgemäß ist!
Der Quickshifter, welcher seidenweich arbeitet, geht nur beim Hochschalten.
Vor einem halben Jahr dachte ich noch das bauche kein Mensch. Nachdem ich
dieses Jahr aber schon einige Bikes mit diesem Luxus bewegen durfte, fehlte
er mir sofort! Gott sei Dank arbeitet die Motorbremse sehr feinfühlig, so
war die Kuppelei beim runterschalten nicht ganz so schlimm. |
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....loading Trackdate – Turn Five und folgende |
Am Nachmittag legten wir nochmals Hand ans Fahrwerk an und öffneten
die Druckstufe um eine Viertel und reduzierten die Vorspannung um ne halbe
Umdrehung. Hinten frisch bereift, mit optimal abgestimmter Elektronik, ging´s
3 Turns auf Zeitenjagt. Alles passte nun perfekt und so wurde Runde um Runde
schneller. Die RSV4 lag nun super in der Hand, sodass kontrollierte Stoppies,
tiefe Schräglagen und gefühlt leichte Drifts einem leicht fielen. Inzwischen
konnte ich auch bei den schnellen doppelrechts das Gas stehen lassen – Gänsehaut. |
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Handlichkeit einer 600er mit 1000ccm Power |
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In der zweiten schnellen Rechts wurde jedoch ein Manko der 600er-Bauweise
deutlich. Hier muss mal bei hoher Geschwindigkeit und voll geöffneter Drosselklappe
leicht hinter der für mich kleinen Verkleidung vor und voll in den Wind.
Dabei wird die ganze Fuhre etwas unruhig, was jedoch voll kontrollierbar
ist. |
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Download Trackdate from brain |
Die RSV4 ist ein kompromissloses Racebike, das seine Heimat sicher auf
den Rennstecken hat. Die Leistungsentfaltung, insbesondere im mittlernen
Drehzahlbereich, sowie Gasannahme und Dosierbarkeit ist fantastisch. Das
„mechanisch“ einstellbare Fahrwerk benötigt zwar etwas Erfahrung und Gefühl
bei der Justage, bietet einem dann aber ein spektakuläres Fahrerlebnis.
Belächelte ich noch bei der Präsentation die Smartphone Spierlerei, so bin
ich nun Fan davon und würde Aprilia raten, das Display komplett gegen eine
individuelle Smartphonhalterung zu tauschen. So kann jeder sein Display
individualisieren und hat seine Daten ständig bei sich. Tja und zu guter
Letzt hab ich mich in den V4-Sound verliebt. Nicht so kreischend wie eine
S1000RR aber auch nicht so brachial laut wie eine Panigale – einfach kraftvoll
und kernig. |
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Verliebt in den Sound der RSV4 |
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Danke an die
BikerSzene für die ich diesen Test fahren durfte. |